Erzbischof Dr. Stefan Heße

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Polen und die Freiheit

Am Freitag darf ich mit polnischen Katholiken in Hamburg einen Gedenk- und Dankgottesdienst zum 100jährigen Gedächtnis der Unabhängigkeit Polens feiern. Ich freue mich vor allem deshalb, weil ein gemeinsames positives Gedenken für uns heute im Gegensatz zu Früher selbstverständlich ist.

Die Unabhängigkeit von Völkern und Staaten steht zu oft im Kontext gewaltsamer Auseinandersetzungen – so auch im Falle des polnischen Volkes. Im Ersten Weltkrieg existiert Polen faktisch nicht. Es war aufgeteilt auf das Deutsche Reich, auf Österreich-Ungarn und Russland. Polen kämpften in allen drei Armeen im Ersten Weltkrieg. Immer wieder gab es Bestrebungen nach polnischer Autonomie und Souveränität. Nachdruck fand der Wunsch schließlich im 14-Punkte-Plan des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, mit dem er die Kriegsziele der Vereinigten Staaten umriss. In Punkt 13 heißt es: „Ein unabhängiger polnischer Staat sollte errichtet werden, der alle Gebiete einzubegreifen hätte, die von unbestritten polnischer Bevölkerung bewohnt sind; diesem Staat sollte ein freier und sicherer Zugang zur See geöffnet werden, und eine politische sowie wirtschaftliche Unabhängigkeit sollte durch internationale Übereinkommen verbürgt werden.“

Wenig später, im Jahr 1918, geschah das, womit kaum jemand gerechnet hatte: Alle drei Mächte, die Polen unter sich aufgeteilt hatten, brachen zusammen. Übermorgen, am 09. November, genau vor 100 Jahren verkündete Reichskanzler Max von Baden die Abdankung des Deutschen Kaisers und Philipp Scheidemann rief vom Fenster des Reichstagsgebäudes die Republik aus. Kurz darauf reiste der deutsche Generalgouverneur aus Warschau ab und am 11. November erreichte Polen schließlich nach 123 langen Jahren der Fremdherrschaft die Unabhängigkeit. Sie verdankt sich zugleich äußeren Umständen und einer Selbstbefreiung. Doch wir wissen, damit war die Unabhängigkeit noch nicht für immer errungen. Das polnische Volk musste nicht zuletzt durch uns Deutsche leidvoll erfahren, dass Freiheit stets neu gegen Ideologien errungen werden muss. Umso dankbarer dürfen wir sein, dass Polen heute Teil eines freien, vereinten und friedlichen Europas ist.

Aber was heißt denn eigentlich Freiheit? Was macht Freiheit aus? Der große polnische Papst Johannes Paul II. hat es sehr provokant formuliert: „Freiheit bedeutet Selbsthingabe.“ Das mag uns nicht recht einleuchten. Ist nicht Freiheit das höchste Gut? Ist nicht ohne Freiheit alles nichts? Wie kann er als Pole sagen, dass die Freiheit, die so leidvoll errungen wurde, dass die eigentliche Freiheit die Selbsthingabe ist? Jesus Christus ist der Grund und das Bild unserer Freiheit. Aus Freiheit und aus Liebe zu uns Menschen ist er Mensch geworden und hat sich für uns hingegeben. Er hat uns aus der Knechtschaft des Bösen befreit und befreit uns immer wieder aus Verstrickungen von Schuld. Er befähigt uns, ohne Sorge unsere Freiheit hinzugeben. Denn erst in der Hingabe werden wir wir selber und damit wirklich frei. Z. B. ist ja die Entscheidung für ein zölibatäres Leben oder für eine Ehe nicht das Ende der Freiheit, sondern erst der Anfang einer viel größeren.

Was im persönlichen Leben gilt, gilt auch gesellschaftlich und politisch. Die Nationen Europas werden nicht dadurch freier, dass sie sich gegeneinander abschotten. Erst das Miteinander macht Frieden und Entwicklung möglich. Besonders deutlich wird das an der polnischen Bereitschaft zur Versöhnung gegenüber uns Deutschen. Mich beeindruckt immer wieder ein Satz aus dem Aufruf der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder von 1965. 20 Jahre nach den leidvollen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges schreiben sie: „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“ Die Hingabe wird aber auch konkret, wenn ich an die große Bereicherung denke, die Gläubige mit polnischen Wurzeln in unseren Pastoralen Räumen darstellen. Deren unermüdliches Engagement für die Katechese, ihr Einsatz in unseren Gemeinden und nicht zuletzt ihr ständiges Gebet machen mich sehr dankbar. Ich wüsste nicht, was das Erzbistum Hamburg ohne sie wäre.

 

Erzbischof Dr. Stefan Heße