Du bist mein Schutz

Im Zentrum dieses gottesdienstlichen Konzeptes steht die Lesung von Genesis 6, die große Erzählung von Sintflut und Arche. Verse aus Psalm 32 und der Vergleich von Flut und Taufe im ersten Petrusbrief entfalten das Thema. Die Mahnung Jesu im Evangelium, die Wiederkunft des Menschensohnes werde ebenso überraschend eintreffen wie damals die große Flut, macht – wie die Buchmalerei – deutlich, dass es hier nicht um eine harmlose Geschichte, sondern um ein Geschehen geht, das auch Opfer kostete. Hilde Domin und Huub Oosterhuis sprechen in ihren poetischen Texten davon, dass Leiderfahrung den Menschen zu sich und letztlich zu Gott führen kann.


Bau Dir eine Arche! (Genesis 6,15)

 

 

 

Bild:Arche Noah,
Beatus – Apokalypse von Girona,
Kathedrale von Girona
(975, Illuminatoren: Ordensschwester En und Presbyter Emeterius)
Fol. 102v-103r

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Michelangelo – Sündenfall


Alttestamentliche Lesung:*

Genesis 6,5-8.13-14.17-19

Der Herr sah, dass auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war. Da reute es den Herrn, auf der Erde den Menschen gemacht zu haben, und es tat seinem Herzen weh. Der Herr sagte: Ich will den Menschen, den ich erschaffen habe, vom Erdboden vertilgen, mit ihm auch das Vieh, die Kriechtiere und die Vögel des Himmels, denn es reut mich, sie gemacht zu haben. Nur Noach fand Gnade in den Augen des Herrn. Da sprach Gott zu Noach: Ich sehe, das Ende aller Wesen aus Fleisch ist da; denn durch sie ist die Erde voller Gewalttat. Nun will ich sie zugleich mit der Erde verderben. Mach dir eine Arche aus Zypressenholz! Statte sie mit Kammern aus, und dichte sie innen und außen mit Pech ab! Ich will nämlich die Flut über die Erde bringen, um alle Wesen aus Fleisch unter dem Himmel, alles, was Lebensgeist in sich hat, zu verderben. Alles auf Erden soll verenden. Mit dir aber schließe ich meinen Bund. Geh in die Arche, du, deine Söhne, deine Frau und die Frauen deiner Söhne!
Von allem, was lebt, von allen Wesen aus Fleisch, führe je zwei in die Arche, damit sie mit dir am Leben bleiben; je ein Männchen und ein Weibchen sollen es sein.


Neutestamentliche Lesung:

1.Petrusbrief 3,20-21

Gott wartete in den Tagen Noachs geduldig, während die Arche gebaut wurde; in ihr wurden nur wenige, nämlich acht Menschen, durch das Wasser gerettet. Dem entspricht die Taufe, die jetzt euch rettet.

Ruf vor dem Evangelium

(Weisheit 10,4)

Wie in der Arche ein Rest vor der Sintflut bewahrt blieb, so hat das Holz des Kreuzes die ganze Erde vom Untergang gerettet.

Evangelium: Matthäus 24,37-39.42

Denn wie es in den Tagen des Noach war, so wird es bei der Ankunft des Menschensohnes sein. Wie die Menschen in den Tagen vor der Flut aßen und tranken und heirateten, bis zu dem Tag, an dem Noach in die Arche ging, und nichts ahnten, bis die Flut hereinbrach und alle wegraffte, so wird es auch bei der Ankunft des Menschensohnes sein. Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt.


Lied: Wort, das trägt

Das Lied von Huub Oosterhuis zu Flut und Arche ist kein Kindergartenlied. Es setzt dort ein, wo unser Denken an seine Grenzen kommt: „Die Flut vor aller Zeit, / bevor Dein Name da war. / Die Nacht vor Deinem Licht. / Der Tod vor Deinem Wort.“ Und es fragt nach unserer Bestimmung und nach Gott: „Was, willst Du, soll ich sein? / Ein Wrackholz auf den Wogen? / Weiß ich das, wer Du bist? / Die Arche, die mich trägt.“ (2.Str.)
Der Dichter bekennt Gott, der unser menschlichen Geschick, unser Leben bestimmt: „Schon vor der Flut warst Du. / Noch eh ich war geboren, hast Du den Kurs bestimmt / durch diese Tiefen hin.“ (3.Str.)
Die vorletzte Strophe bringt das Bild vom Regenbogen und Gottes Hand zur Deckung: „Und nach der Flut kommst Du./ Dein Bogen steht am Himmel,/ Dein ausgestreckter Arm,/ die Hand, die uns befreit.“ Erfahrung und Zusage von Rettung sind eins.
Die letzte Strophe schlägt nun buchstäblich den Bogen von Genesis 9,13 zu Offenbarung 21:
„Trocken und hoch wird einst
auf goldenen Fundamenten
aufragen Deine Stadt,
Und Tod wird nicht mehr sein.“

Ein Lied, das Anfang und Ende, Schöpfung und Vollendung umfasst und doch mit wenigen, dafür umso kraftvolleren Worten auskommt.

 

 

Zitate aus: Huub Oosterhuis, in: Wort, das trägt. Biblische Lieder und Gebete, Düsseldorf 1990, S. 174 f.  

 

 

 

 

 

 

Literaturhinweis: Jürgen Ebach, Noah. Die Geschichte eines Überlebenden, in: Christfried Böttrich / Rüdiger Lux (Hrsgg.), Biblische Gestalten, Bd. III, Leipzig, 2001.

 

 

Geistlicher Text: Hilde Domin

Die Sintflut ist auch Hauptmotiv eines Gedichtes von Hilde Domin (1909-2006). Unter dem Titel „Bitte“ formuliert sie die Unabwendbarkeit von Leiderfahrung:
„Wir werden eingetaucht / und mit den Wassern der Sintflut gewaschen, / wir werden durchnäßt / bis auf die Herzhaut.“ In der zweiten Strophe macht sie deutlich, dass die Bitte um Verschonung nicht taugt: „Der Wunsch nach der Landschaft / diesseits der Tränengrenze/ taugt nicht, / der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten, / der Wunsch, verschont zu bleiben, / taugt nicht.“
Auch in der dritten Strophe greift sie auf die Erzählung von Genesis 6 zurück: „Es taugt die Bitte, daß bei Sonnenaufgang die Taube / den Zweig vom Ölbaum bringe. / Daß die Frucht so bunt wie die Blüte sei, / daß noch die Blätter der Rose am Boden / eine leuchtende Krone bilden.“
Schließlich erweitert die deutsche Lyrikerin das biblische Bild der existenzbedrohenden Situation der Flut um biblische Bilder aus Daniel 6 (Daniel in der Löwengrube) und Daniel 3 (die drei Jünglinge im Feuerofen), Geschichten von Glaubensprüfung und der Bewährung in Verfolgung. Sie lassen unmittelbar das persönliche Schicksal der aus Deutschland emigrierten Tochter jüdischer Eltern anklingen. Hilde Löwenstein, die sich nach ihrem Exil in der Dominikanischen Republik den Künstlernamen „Domin“ gab, macht in dieser Schlußstrophe klar, warum die Bitte um Verschonung nicht taugt:

„Und daß wir aus der Flut,
daß wir aus Löwengrube und dem feurigen Ofen
immer versehrter und immer heiler
stets von neuem
zu uns selbst
entlassen werden.“

Zitat aus: Hilde Domin, Gedichte, Frankfurt a. M. , 1987, 117.

 

Zusammenstellung: Hans-Jakob Becker / Anne-Madeleine Plum Dieser Gottesdienst:  5 Pen A in Patmos Vgl. dazu ausführlich: Hansjakob Becker, „Dies große Wort, geschrieben weiß auf schwarz“. Patmos: Begegnungen mit der Bibel im Kontext von Kultur- , in: Pietas Liturgica 16, Tübingen 2015.

* Texte aus der Heiligen Schrift sind entnommen aus der Einheitsübersetzung © 1980, Katholische Bibelanstalt GmbH.

Liste der Wort-Gottes-Feiern “Patmos”

Informationen zur Gottesdienst-Reihe “Patmos”