Dr. Christian Hennecke

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Wie wir Halt finden und worauf wir warten dürfen

Worauf hoffen wir? Auf das Ende des Krieges in der Ukraine? Auf eine weltpolitische Stabilisierung in unsicheren Zeiten? Auf eine entschiedene Weltgemeinschaft, die auf die Bedrohung des Klimanwandels angemessen reagiert? Auf eine echte Antwort auf die anschwellenden Flüchtlingsströme? Auf eine notwendige kirchliche Veränderung mitten im undurchsichtigen Chaos klerikal-restvolkskirchlicher Gefüge?
Das erhoffen wir irgendwie schon, immer im Wissen, dass wir nicht wirklich bewirken können, dass sich dies oder jenes ereignet. Es ist nicht in unserer Hand! Das führt in tiefe Unsicherheiten, manche in berechtigte Wut und Zorn, manche zu Verschwörungstheorien, manche in radikales Engagement – und manche in eine etwas resignierte Schicksalsergebenheit.

Es ist die Zeit der Apokalypsen – und es ist die Zeit des Advents. Wie können wir standhalten und worauf können wir berechtigt warten? Die Worte Jesu, die wir in diesen Wochen in den Kirchen gehört haben und hören werden, warnen vor einer letztlich oberflächlich bleibenden apokalyptischen Panik. Die Rede vom drohenden Ende der Welt, von massiven Erschütterungen, von Seuchen und Kriegen ist uns in diesem Jahr immer näher gerückt und zieht uns Menschen zu jeder Zeit schnell mit in eine kurzatmige hysterische Zeitgenossenschaft. Es ist nicht leicht, sich all dem zu entziehen – das ist klar.

„Wenn all das passiert, dann richtet euch auf und erhebt euer Haupt, denn die Erlösung ist nahe“, so formuliert es das Evangelium, und setzt fort: „Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen“.

Aber das kann nur gelingen, wenn wir gegründet sind, verwurzelt sind – in Christus. Aber was genau heißt das, mitten in unserer sich unübersichtlich-transfomierenden Welt? Mitten in einer radikal notwendenden Transformation unserer Kirche? Hier reichen keine frommen Worte, und hier reicht keine Dogmatik, kein Katechismus – sondern hier sind wir selbst
befragt: sind wir geprägt von einer Begegnung mit dem Geheimnis einer Liebe, die unser Leben ergriffen hat und das Leben dieser Welt durchdringt.

Denn in Wirklichkeit fordert uns diese anstehende Transformation bestehender Ordnungen in Kirche und Welt dazu auf, unseren eigenen Glauben neu zu entdecken, zu leben, und uns zu verwurzeln. Jenseits all dieser Ereignisse, jenseits aller dieser Umbrüche ist er nicht zu finden – sondern genau mittendrin. Hier, mitten in Dunkelheiten der Geschichte und in der Ohnmacht, mitten in der fehlenden Orientierung und in der hysterischen Panik, mitten in den Ereignissen, die uns ratlos bis wütend werden lassen, ist sein Ort – ist der Ort, wo er uns begegnen will.

Ja, es ist an der Zeit, neu zu entdecken, was eigentlich das Evangelium ist. Es spricht vom Kommen der Liebe in eine chaotische Welt. Und wenn sie uns erscheint, wenn sie inmitten unserer Begegnungen aufscheint, wenn wir sie entdecken können auch im Dunkeln, und wenn sie uns ergreift, dann ist Advent – dann sind wir verwurzelt und standhaft in einer herausfordernden Gegenwart, die uns erwartungsvoll sehen und warten lässt, wo die Liebe neue Wege bahnen will. Dann kann aus der drohenden Apokalypse des Endes eine Offenbarung eines Anfangs neuen Lebens werden: in uns und zwischen uns allen.

 

Dr. Christian Hennecke
Hildesheim