Dr. Christian Hennecke


Wo einst der Turm von Babel stand, steht heute nur noch Wasser in den ehemaligen Fundamenten der Zikkurat.
Foto: Hubertus Brantzen

Kein Wunder, das es ein Wunder braucht

Es riecht nach Babylon. Wer auf die internationale Staatengemeinschaft schaut, erkennt schnell, dass Paradigmen und Konsense zerbrechen. Wer auf demokratische Grundhaltungen schaut, dem wird deutlich, dass schon länger viele damit fremdeln. Nicht der anstrengende Dialog, sondern knallharte Machtspiele sind modern. Der Kommunikationsstil hat sich – schon länger – geändert: Über Tweets und YouTube wird eine schnelle Kommunikation möglich, die aber immer mehr und nicht selten das Signum gewalttätiger Überwältigung und bewußter Falschinformation in sich trägt. Fakenews und Drohungen als Mittel der Kommunikation – eine interessante Perspektive. Bewußte Falschinformation ist gesellschftsfähig dort, wo jede Wahrheit nützlich werden soll – für einen selbst.  

Und das in einer Zeit, die doch wirklich alle Möglichkeiten bereithält, miteinander in Verbindung zu treten, sich lichtschnell zu vernetzen und allen alles mitzuteilen. Genau in dieser Zeit gelingt Kommunikation nicht, und wird leicht zu einem Instrument der Macht, der Manipulation, in der Menschenleben binnen kurzer Zeit missachtet, entwürdigt und verletzt werden.

Beispiele solcher Kommunikation fallen einen in den letzten Tagen und Wochen zahlreich ein. Hassvideos bei YouTube, die schillernde Trumpwelt, die russischen Manipulationsversuche, irrlichternde Journalisten – all das führt in eine Welt der auseinanderbrechenden fragilen Konsense, der abgeschlossen exklusiven Blasen, der spielerischen Massenmanipulation, die jederzeit zurückgenommen werden kann.

Und all das führt in einer komplexen Welt eben gerade nicht in die differenzierte Verständigung, sondern in das wechselseitige Missverstehen, Nicht-mehr-verstehen-Können, Einander-Dummheit-Unterstellen. Es führt zum Verlust des Vertrauens, zum wachsenden Argwohn. Es führt in die Trennung. Es führt in den Tod der Beziehung.

Es riecht also nach Babylon, und wir merken, dass die alte Geschichte doch etwas beitragen kann zu einer postmodernen Gesellschaftsanalyse. Vielleicht war es nie anders.

„Die ganze Erde hatte eine Sprache und ein und dieselben Worte…. Auf bauen wir uns eine Stadt und einen Turm…“ Wir wissen, wie es ausgegangen ist: „Auf, steigen wir herab und verwirren wir dort ihre Sprache, so dass keiner mehr die Sprache des Anderen versteht…. Darum gab man der Stadt den Namen  Babel, Wirrsal, denn dort hat der Herr die Sprache der ganzen Erde verwirrt und von dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut“. So beschreibt der biblische Autor in Genesis dieselbe Erfahrung, die wir „schon immer“ machen. Offensichtlich gelang es noch nie, dass wir Menschen eine Sprache sprechen. Nicht nur heute nicht, schon immer nicht.

Was nur eines deutlich macht: Kommunikation gelingt nicht, wenn uns nicht eine Kraft durchdringt, die Menschen miteinander verbindet, vertraut macht. Ein Wunder muss geschehen, damit Fremdheit in ein Zueinander, in Verständigung umschlägt, ohne die Komplexität der vielen Einzelnen aufzuheben. Das Wunder der Verständigung ist nicht eine Frage der Mittel, ist nicht eine Frage des Geldes, nicht eine Frage der Machbarkeit, sondern eines Geistes, der Vertrauen, Wahrnehmung und Mitteilung wertvoll und wertschätzend macht.

Und siehe: Auch das gelingt. Ein gemeinsamer Geist durchdringt die „Fridays for future“, die vielen Bemühungen um den Klimaschutz, die Suche nach neuer Zusammengehörigkeit. Und jedes Mal ist es erstaunlich und wunderbar, dass es offensichtlich auch diesen umspannenden gemeinsamen Geist gibt, der weht, wo er will – dann aber gefunden und erkannt und wirksam werden will.

Beides ist da: Babylon und Pfingsten. Und wir lernen unterscheiden. Und wir lernen, dass Wunder geschehen und dass wir nur im Wunder glücklich sind. Pfingsten heißt dieses Wunder.  Und es ist kein Wunder, das es ein Wunder braucht.

 

Dr. Christian Hennecke
Hildesheim