Date:09. Feb 2005

Die große Flut

Gebet

 

Inzwischen rechnet man wohl mit 200.000 Menschen,
die von der Flutwelle in Südostasien verschluckt wurden.
Die Nachrichten überschlagen sich mit Informationen,
vorgestellte Einzelschicksale sollen die Dramatik der Situation bebildern.

Menschen um mich herum betonen immer wieder,
wie schrecklich sie die Ausmaße der Katastrophe empfinden.
Doch einige bekennen:
„Ich kann das nicht richtig an mich heranlassen,
sonst werde ich verrückt.“

Auch in mir selbst spüre ich beides:
Ich muss mir immer wieder die Bilder anschauen,
mich vergewissern, dass das wirklich geschehen ist.
Zugleich möchte ich die Bilder nicht mehr sehen,
denn ich kann die Frage nicht abwehren:
“Was wäre es, wenn einer meiner Lieben nicht mehr zurückkäme?“

Unglaublich ist die Hilfsbereitschaft,
die sich bei den Menschen in unserem Land zeigt.
Täglich gehen zweistellige Millionensummen ein.
Die Menschen lassen sich anrühren
und sind wohl dankbar,
dass sie nicht selbst zu den Betroffenen gehören.

Ich lese Kommentare zu den Ereignissen in den Zeitungen.
Einige reden von Sintflut.
Auf diese Idee zu kommen, liegt nicht fern.

 

Gott der Liebe,
ich kann den Sinn nicht verstehen.
Ich kann mir nur Gedankenbrücken über diese große Flut bauen,
etwa: Wir Menschen sollen unsere Grenzen erkennen,
nicht meinen, das Leben sei ein Spaß ohne Ende.
Oder: Die Menschen sollen die Solidarität in der einen Welt neu entdecken
– oder so ähnlich…
Doch diese Brücken über die Flut wanken bedrohlich,
sie halten den bohrenden Fragen nicht stand.

Was hast du dir dabei gedacht,
als sich diese Sintflut über die Menschen hinwegwälzte?
Was hast du dir dabei gedacht,
als Kinder schreiend nach ihren Eltern suchten,
ohne Chance, sie wiederzufinden?
Was denkst du dir dabei,
dass Menschen ganzer Landstriche heimatlos geworden sind?

“Gott ist Vater, Gott ist gut,
gut ist alles, was er tut.”

Habe Nachsicht mit mir,
mein Gott,
wenn ich den Satz in dieser Situation nicht begreife,
wenn ich nur hoffen kann,
dass keine Flut meinen Glauben wegschwemmt.

 

HB