Zu seinem neunzigsten Geburtstag 1977 malte Marc Chagall ein Marienbild auf eine 2×3 m große Leinwand, ekstatisch, in viel Blau und Weiß. Le Monde schrieb, diese Bild sei ein Gipfel abendländischer Malerei, eine Offenbarung in den reinsten und sparsamsten Mitteln. Das Gemälde sollte nicht in Privatbesitz verschwinden und auch nicht in einem Museum. ‘Ich habe es der mutterlosen Christenheit geschenkt’, sagte Chagall. ‘Die mutterlose Christenheit’- 1800 Jahre lang hätte niemand diesen Satz verstanden. Weil es mittlerweile möglich ist, so zu reden, ist dieses Buch entstanden. (…) Aber die folgenden Versuche kommen natürlich und leider trotzdem nicht an das Große heran, und das sei einfach im vorhinein bemerkt.
(Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz: Maria der andere Anfang.
Be&Be. Heiligenkreuz 2016, Vorwort)
Die mutterlose Christenheit, die mutterlose Kirche in Deutschland. Auf dem “synodalen Weg” ist man bisher – wenn ich recht sehe – noch nicht der Mutter begegnet, hat sie jedenfalls nicht in ihr Haus aufgenommen.
Oder doch? Da erinnere ich mich an den alten, schon betagten Karl Rahner aus Münster-Zeiten, der in der unmittelbaren Nachkonzilszeit – vielleicht weltweit als einziger damals – in Münster Mariologie gegeben hat. Der Kurs ist allerdings irgendwie verschollen. Doch einen Satz daraus, den ich in der mündlichen Tradition von Studierenden der theologischen Fakultät in Münster fand, lautet: “Abstraktionen haben keine Mütter”. Der Theologe, der das personal-heilsgeschichtliche Christentum in seinem fast schon legendären Grundkurs des Glaubens “auf den Begriff” zu bringen versucht hat, hatte da die besonders tiefe Einsicht, dass nicht alles in diesem auf den Begriff zu bringen ist. Und dass da Maria besonders begriffsresistent ist.
So ist es wohl ein besonders schönes Gotteszeichen für den großen Theologen, dass seine letzte Publikation, zusammen mit Frau Marianne Dirks, der allerliebsten Gottesmutter Maria gewidmet, ja vielleicht sogar geweiht ist. Ihr Titel: Für eine neue Liebe zu Maria. Liebe ist nun mal nicht “auf den Begriff zu bringen”.
Näheres dazu in: Herbert King: Spuren des Marianischen im deutschen Protestantismus. In: Manfred Hauke (Hrg.): Maria “Mutter der Einheit”. Mater unitatis, Band XVIII der Mariologischen Studien, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2020, Seite 251. Dort auch (Seite 240) der oben zitierte Text über die “mutterlose Christenheit”. Eine echte Baustelle, speziell für unser deutsches Christentum auf dem synodalen Weg.