Date:18. Feb 2015

Das denkende Herz

 Zeichen der Zeit

Das denkende Herz - Foto: Heike Bulle

Foto: Heike Bulle

Etty Hillesum. Ich habe ihre Tagebücher bei einem Besuch in Bonn gefunden. In einem kleinen Bücherladen hinter dem Münster. Und ich kann nicht mehr aufhören darin zu lesen. Die Frau hat mit 29 Jahren eine Tiefe und dadurch auch einen so tiefen Frieden mit sich und ihrem Leben erschaffen, dass man es kaum fassen kann. Ein ebenso tiefes Staunen erfasst mich beim Hineinlesen und -denken in diese Lebenszeit.
Und ja, auch heute ist das Elend groß.
Und auch heute geht es um nichts anderes, als darum, angesichts alledem, ein Stückchen Liebe und Güte in uns selbst zu erobern und zumindest einen Teil unserer Seele unverletzt über alles hinwegzuretten.
Und es kann gelingen. Etty ist der gelebte Beweis dafür.
Vielleicht ist das das dringendste Gebet in diesen Tagen:
Dass möglichst viele Menschen ihr Herz denken hören. Damit sie zumindest einen Teil davon zu retten vermögen. Weil wohl kein Mensch je anders zu retten ist.

“Das Elend ist wirklich groß, und dennoch laufe ich oft am späten Abend, wenn der Tag hinter mir in die Tiefe versunken ist, mit federnden Schritten am Stacheldraht entlang, und dann quillt es mir immer wieder aus dem Herz herauf […]: Das Leben ist etwas Herrliches und Großes, wir müssen später eine ganz neue Welt aufbauen – und jedem weiteren Verbrechen, jeder weiteren Grausamkeit müssen wir ein weiteres Stückchen Liebe und Güte gegenüberstellen, das wir in uns selbst erobern müssen […]. Und wenn wir diese Zeit unversehrt überleben, körperlich und seelisch unversehrt, aber vor allem seelisch, ohne Verbitterung, ohne Haß, dann haben wir auch das Recht, nach dem Krieg ein Wort mitzureden. Vielleicht bin ich eine ehrgeizige Frau: Ich möchte ein sehr kleines Wörtchen mitreden […].” (Aus: Das denkende Herz, S. 209)

“Das eine Mal ist es ein Hitler, ein andermal meinetwegen ein Iwan der Schreckliche, einmal ist es Resignation, ein andermal sind es Kriege, Pest, Erdbeben oder Hungersnot. Entscheidend ist letzten Endes, wie man das Leiden, das in diesem Leben eine wesentliche Rolle spielt, trägt und erträgt und innerlich verarbeitet und daß man einen Teil seiner Seele unverletzt über alles hinwegrettet.” (Ebd. S.142)

 Heike Bulle

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