Date:19. Okt 2016

Das Buch – bitter und süß (Offenbarung 10,10)

„Möget ihr eingeschrieben werden ins Buch des Lebens für ein gutes Jahr“ wünscht man sich an Rosch Haschana, „eingeschrieben und besiegelt“ heißt es an Jom Kippur. Die jüdische Vorstellung geht davon aus, dass die Namen der Menschen, je nach ihren Handlungen, entweder in das Buch des Lebens oder in das Buch des Todes eingetragen werden, für die anderen wird die endgültige Entscheidung über ihr Schicksal in den zehn Tagen zwischen Rosch Haschana und Jom Kippur gefällt. Auch der Prophet Maleachi erzählt von einem Eintrag ins Buch des Lebens, sefer chajim (ספר החיים), ebenso die Offenbarung des Johannes, das letzte Buch des Neuen Testaments.
Im Zentrum des Deckenfreskos der bekannten Wieskirche im Allgäu thront der Auferstandene auf dem Regenbogen. Er zeigt mit seiner erhobenen Hand auf das lichtumstrahlte Kreuz, Zeichen seiner Erhöhung und Wiederkunft zugleich. Seine Linke weist auf die geöffnete Seitenwunde, sein Herz. Engel künden mit Posaunen die Endzeit an, doch der Thron des Weltenrichters, purpurrot und blau, ist noch frei. Zu seinen beiden Seiten jedoch werden bereits die Bücher aufgeschlagen, nach denen die Toten zu richten sind. Bitter und süß ist dieses Buch nach dem Zeugnis des Sehers auf Patmos. Bitter, weil es Leiden verheißt, süß, weil die verschont werden, die Christus treu bleiben. Im Evangelium macht dieser klar, dass wir uns mit Wachen und Beten auf diese Zeit vorzubereiten haben. Aber auch, dass es Grund gibt sich aufzurichten und das Haupt zu erheben, wenn dieser Tag sich ankündigt: Die Erlösung ist nahe.


Eingetragen

ins Buch des Lebens.

 

 

 

 

 

 

Bild: Johann Baptist Zimmermann
Thron zum Weltgericht,
Deckenfresko der Wieskirche,
1749 und 1753–1754

Literatur zum Bild:
Georg Kirchmeir/ Margret Hasenmüller, Die Wies. Wallfahrtskirche zum gegeißelten Heiland, Verlag Wilhelm Kienberger, o.J.

Esra -Detail

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Fotos: Mit freundlicher Genehmigung von Frau Dr. Irene Kohlberger

Hjob

 

Esra


Alttestamentliche Lesung: Maleachi 3,13-18

Was ihr über mich sagt, ist kühn, spricht der Herr.
Doch ihr fragt: Was sagen wir denn über dich?
Ihr sagt: Es hat keinen Sinn, Gott zu dienen.
Was haben wir davon, wenn wir auf seine Anordnungen achten
und vor dem Herrn der Heere in Trauergewändern umhergehen?
Darum preisen wir die Überheblichen glücklich,
denn die Frevler haben Erfolg; sie stellen Gott auf die Probe
und kommen doch straflos davon. –
Darüber redeten die miteinander,
die den Herrn fürchten. Der Herr horchte auf und hörte hin
und man schrieb vor ihm ein Buch, das alle in Erinnerung hält,
die den Herrn fürchten und seinen Namen achten.
Sie werden an dem Tag, den ich herbeiführe
spricht der Herr der Heere -,
mein besonderes Eigentum sein. Ich werde gut zu ihnen sein,
wie ein Mann gut ist zu seinem Sohn, der ihm dient.
Dann werdet ihr wieder den Unterschied sehen
zwischen dem Gerechten und dem, der Unrecht tut,
zwischen dem, der Gott dient,
und dem, der ihm nicht dient.

 

Kehrvers:

Meine Tränen, stehen sie nicht in deinem Buch? (Psalm 56,9)

Psalm 56, 2-6.9-14

Sei mir gnädig, Gott, denn Menschen stellen mir nach;
meine Feinde bedrängen mich Tag für Tag.
Täglich stellen meine Gegner mir nach;
ja, es sind viele, die mich voll Hochmut bekämpfen.
An dem Tag, da ich mich fürchten muss,
setze ich auf dich mein Vertrauen.
Ich preise Gottes Wort.
Ich vertraue auf Gott und fürchte mich nicht.
Was können Menschen mir antun?
Sie verdrehen meine Worte den ganzen Tag;
auf mein Verderben geht ihr ganzes Sinnen.
Mein Elend ist aufgezeichnet bei dir.
Sammle meine Tränen in einem Krug,
zeichne sie auf in deinem Buch!
Dann weichen die Feinde zurück an dem Tag, da ich rufe.
Ich habe erkannt: Mir steht Gott zur Seite.
Ich preise Gottes Wort,
ich preise das Wort des Herrn.
Ich vertraue auf Gott und fürchte mich nicht.
Was können Menschen mir antun?
Ich schulde dir die Erfüllung meiner Gelübde, o Gott;
ich will dir Dankopfer weihen.
Denn du hast mein Leben dem Tod entrissen,
meine Füße bewahrt vor dem Fall.
So gehe ich vor Gott meinen Weg
im Licht der Lebenden. .


Neutestamentliche Lesung:

Offenbarung 20, 11-12.15

Dann sah ich einen großen weißen Thron und den, der auf ihm saß; vor seinem Anblick flohen Erde und Himmel und es gab keinen Platz mehr für sie. Ich sah die Toten vor dem Thron stehen, die Großen und die Kleinen. Und Bücher wurden aufgeschlagen; auch das Buch des Lebens wurde aufgeschlagen. Die Toten wurden nach ihren Werken gerichtet, nach dem, was in den Büchern aufgeschrieben war. Wer nicht im Buch des Lebens verzeichnet war, wurde in den Feuersee geworfen

Ruf vor dem Evangelium

(Offenbarung 3,5)

Nie werde ich deinen Namen streichen aus dem Buch des Lebens, sondern ich werde mich vor meinem Vater zu ihm bekennen.

Evangelium: Lukas 21, 25-28.34-36

Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne, Mond und Sternen, und auf der Erde werden die Völker bestürzt und ratlos sein über das Toben und Donnern des Meeres. Die Menschen werden vor Angst vergehen in der Erwartung der Dinge, die über die Erde kommen; denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf einer Wolke kommen sehen. Wenn (all) das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen. Nehmt euch in Acht, dass Rausch und Trunkenheit und die Sorgen des Alltags euch nicht verwirren und dass jener Tag euch nicht plötzlich überrascht, (so) wie (man in) eine Falle (gerät); denn er wird über alle Bewohner der ganzen Erde hereinbrechen. Wacht und betet allezeit, damit ihr allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt.


Lied: Dich König, loben wir – Angelus Silesius (1657)

Die Vorstellung, dass wir Gott auch über den Tod hinaus loben vermittelt der barocke Lieddichter Angelus Silesius in der ersten Strophe dieses Liedes, das ganz von den Bildern und Vorstellungen des letzten biblischen Buches geprägt ist:

Str.1: Dich, König loben wir,
dich ehrn wir für und für.
Dir, o Jesu, wolln wir geben
Ruhm, Preis, Dank und Herrlichkeit,
hier durch unser ganzes Leben
und danach in Ewigkeit.
Christus wird als Richter über Leben und Tod gesehen, der um Erbarmen angerufen wird. Um seinen Thron singen die Chöre der Engel, aber auch die „große Schar aus allen Nationen“ von denen in 0ffb 7,9 die Rede ist :

Str.5: All deiner Heilgen Schar
lobpreist dich immerdar.
Ihre Namen stehn geschrieben
in dem Buch der Ewigkeit,
weil sie sind beständig blieben
dir zu Ehren in der Zeit.
Gotteslob Mainz 843,1.

 

 

 

 

Literaturhinweis: Bibel und Kirche 2 (2012): Bilder-Macht. Die Johannesapokalypse.

 

Geistlicher Text: Alex Stock, Poetische Dogmatik

„Um die Toten aus dem Schlaf im Totenreich zu wecken, erschallt die Posaune, die, ältere militärische und kultische Signalfunktionen verbindend, nach der Schrift zum eschatologischen Instrument schlechthin geworden ist. Auferstehung der Toten ist hier nicht schon die ewige Seligkeit, sondern die Bedingung der Möglichkeit eines universalen Gerichts. …
Die Vorstellung eines Weltbuches, einer protokollarischen Aufzeichnung alles gelebten Lebens sprengt freilich auch die bereitwilligste eschatologische Phantasie. Schon Augustinus hat das surreale Phantasma auf seinen existentiellen Kern hin allegorisiert: >An ein sinnfälliges Buch ist dabei natürlich nicht zu denken; es müßte ja von unfaßbarer Größe oder Länge sein, und welche Zeit würde es in Anspruch nehmen, ein Buch zu lesen, worin das ganze Leben gar aller Menschen verzeichnet ist!… Es ist sonach darunter eine Art Gotteskraft zu verstehen, durch die bewirkt wird, daß alle Werke, die guten wie die bösen, jedem einzelnen ins Gedächtnis gerufen und von jedem mit dem Auge des Geistes in wunderbarer Schnelligkeit geschaut werden, sodaß das Wissen das Gewissen anschuldigt oder entschuldigt und so mit einem Schlag über alle und jeden einzelnen das Gericht ergeht. Diese Gotteskraft also wird hier Buch genannt; die Rückerinnerung durch ihre Einwirkung ist gleichsam ein Lesen in ihr< (De civitate Dei XX,14). Das Buch ist zu verstehen als eine vis divina, die einen Prozeß der memoria auslöst. Der Lebenslauf schießt vor dem Auge des Geistes in der Schnelligkeit eines Augenblicks (in ictu oculi) zu einem Lebensbild zusammen. Und diese Bestandsaufnahme ist zugleich auch schon die Urteilsfindung, Wissen und Gewissen in einem. >Durch die Erinnerung wird jeder sein eigener Richter, liest in sich sowohl das Buch des Gesetzes als auch die Chronik seiner Handlungen. Die Memoria ist das Gericht.< Der göttliche Richter gibt nur den Anstoß zu diesem ganz ins innere Tribunal jedes einzelnen verlegten Prozeß.“

Zitat aus: Alex Stock, Poetische Dogmatik. Christologie, 4. Figuren, Paderborn 2001, S. 203f.

 

Zusammenstellung: Hans-Jakob Becker / Anne-Madeleine Plum Dieser Gottesdienst:  00 Adv C in Patmos Vgl. dazu ausführlich: Hansjakob Becker, „Dies große Wort, geschrieben weiß auf schwarz“. Patmos: Begegnungen mit der Bibel im Kontext von Kultur – Liturgie  – Spiritualität, in: Pietas Liturgica 16, Tübingen 2015.

* Texte aus der Heiligen Schrift sind entnommen aus der Einheitsübersetzung © 1980, Katholische Bibelanstalt GmbH.

Liste der Wort-Gottes-Feiern “Patmos”

Informationen zur Gottesdienst-Reihe “Patmos”