Bischof Wolfgang Ipolt, Görlitz

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Wer kann mich trösten?

In einer Art Brief-Roman beschäftigt sich die Schriftstellerin Thea Dorn mit der Innenseite der Pandemie. Das Buch ist erst kürzlich erschienen und trägt den Titel „TROST. Briefe an Max“. Thea Dorn (Jahrgang 1970) leitet seit kurzem das „Literarische Quartett“ – eine Sendung im Zweiten Deutschen Fernsehen, die sich mit neuer Literatur beschäftigt. Sie bezeichnet sich selbst als Agnostikerin.

Genau das hat mich als Christ gereizt, dieses Buch in die Hand zu nehmen. Es geht letztlich um die Frage, wie der Mensch nach all den Einschränkungen, Vorsichtsmaßnahmen und Ängsten des vergangenen Jahres noch Mensch bleiben kann – oder mit dem Titel des Buches: Wo er Trost finden kann.

Thea Dorn selbst musste den Tod ihrer an Corona erkrankten Mutter durchstehen und durfte sie in ihren letzten Stunden nicht begleiten. Sie schreibt:

„Bislang ist es mir nicht gelungen, mich zusammenzureißen, die tapfere Tochter zu geben, die mit allen Geisteswassern gewaschene Schülerin, die bei Dir nicht nur das Denken, sondern fürs Leben gelernt hat. Aber ich kann nicht mehr. Was im Krankenhaus passiert ist, ist so schlimm, dass ich nur noch schreien kann. SIE HABEN MICH NICHT ZU IHR GELASSEN!!!! Den Sicherheitsdienst haben sie gerufen, als ich versucht habe, trotzdem in das Gebäude reinzukommen. Irgendwo da drinnen hing meine Mutter an irgendwelchen beschissenen Maschinen, war am Ersticken, Verrecken, und sie haben mich nicht zu ihr gelassen!!!! Infektionsrisiko!!! Das Infektionsrisiko sei zu hoch – – – (…) Wenn ich ehrlich bin: Ich wünschte, ich hätte an jenem Tag eine Waffe gehabt. Wie barbarisch darf ein Staat werden, der sich so viel darauf zugutehält, ein Rechtsstaat zu sein? Einer Tochter verbieten, bei ihrer sterbenden Mutter zu sein? Einen Menschen zum einsamen Tod in einem Maschinensaal verdammen?“

Immer wieder sucht Thea Dorn in ihrem Buch angesichts dieser für sie traumatischen Situation nach Trost. Ich frage mich: Wie viele Menschen haben Ähnliches wohl gerade am Beginn der Pandemie mit der gleichen Begründung erlebt?

Es ist beachtlich und wahrscheinlich ein erster Versuch, sich literarisch dieser Problematik zu stellen – und zwar ohne einen persönlichen Glauben an Gott. Dennoch: Das Buch enthält Anspielungen und biblische Bezüge, die nicht zu überhören sind. Man spürt die Sehnsucht und tiefe Suche der Verfasserin nach wirklichem Trost angesichts des Todes, auf den jeder Mensch zugeht. Darum kann sie am Ende formulieren:

„Die Kunst des Sterbens kann aber nur erlernen, wer zuvor bereit ist, die Kunst des Tröstens und die Kunst des Sich-Trösten-Lassens zu erlernen.“

Als Christen richtet sich unser Blick in diesen Tagen der Fastenzeit wieder ganz bewusst auf Jesus, dessen Tod für uns Erlösung und Rettung bedeutet. Und wir schauen in der vorletzten Station des Kreuzwegs auf Maria, die Trösterin der Betrübten, und vertrauen ihr unsere Ratlosigkeit und Trostlosigkeit an. Ich bin dankbar sein für diese Perspektive des Glaubens, die mir Zuversicht schenkt und mich nicht verzweifeln lässt. Die bekennende Agnostikerin Thea Dorn hat mir mit ihrem Buch neue Freude an meinem österlichen, hoffnungsvollen Glauben geschenkt. Darum bin ich immer „ganz bei Trost“!

Bischof Wolfgang Ipolt, Görlitz

Siehe Veröffentlichung: basis-online.net