Bischof Wolfgang Ipolt, Görlitz

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Unheimliche Nähe

Von Görlitz, der Stadt, in der ich Bischof bin, bis nach Lemberg (Lviv) sind es etwa 750 km. Als ich mir das bewusst gemacht habe, wusste ich, wie nahe ich an dem furchtbaren Geschehen in der Ukraine lebe. Wohl niemand von uns kann diesen Krieg derzeit verdrängen oder einfach zur Tagesordnung übergehen – dafür sorgen vor allem die Medien. Es ist einerseits gut, dass wir über diesen Krieg gut informiert werden und Journalisten sicher auch unter Lebensgefahr uns von diesem Geschehen berichten. Andererseits braucht es wohl für jeden persönlich eine gewisse Aszese im Aufnehmen der Bilder und der Nachrichten, damit wir nicht ganz davon besetzt werden.

Mir scheint, dass wir dazu auch innere geistliche Kraft und Impulse brauchen, die uns helfen, mit den Schreckensnachrichten vor Gott zu treten. Die Weihe von Russland und der Ukraine an die Gottesmutter am 25. März war ein solcher Impuls, der von vielen Menschen gut angenommen wurde. Am Karfreitag werden wir in einer besonderen Fürbitte der Menschen in der Ukraine und aller Verantwortlichen für diesen Krieg gedenken. Ich spüre, dass es außerdem viele Beterinnen und Beter in unseren Gemeinden und Gemeinschaften gibt, die die Not und Ängste der Menschen vor Gott tragen.

Der Jesuit Willi Lambert hat ein kleines Büchlein geschrieben mit dem Titel „Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit“. Dieser Titel geht mir angesichts des Krieges in der Ukraine nicht aus dem Kopf. In allen Widerfahrnissen – auch in den schmerzlichen, leidvollen, unverständlichen – dürfen und sollen wir Gottes Nähe, seine Umarmung, entdecken? Das ist eine große Herausforderung. Die kommende Karwoche, in der wir des Leidens und Sterbens Jesu gedenken, kann uns aber dabei helfen und einen Schlüssel schenken. Die Menschen im Krieg, die beunruhigte und verängstigte Welt – wir alle sind nicht allein. Das Sterben Jesu – einmal auf Golgotha geschehen – wird plötzlich sichtbar in den vielen Leidenden und Weinenden und Toten des Krieges. Gott bekommt durch die Bilder, die wir aus der Ukraine sehen, ein sehr nahes zerschundenes Antlitz und der Karfreitag wird darum dieses Mal für mich ganz anders sein.

Bischof Wolfgang Ipolt, Görlitz

Siehe Veröffentlichung: basis-online.net