Bischof Reinhold Nann, Peru

 armes Mädchen und JungeFoto: pixabay.com

Der heilige Martin von Porres und das Auftauchen der Unsichtbaren

Martin von Porres kannte Rosa von Lima, die erste Heilige Südamerikas gut, war fast ihr Nachbar. Er war Bruder bei den Dominikanern, sie gehörte zum dritten Orden, war also Laie, aber inspiriert von der gleichen Spiritualität. Rosas Eltern waren beide in Spanien geboren, bei Martin war das nur der Vater, die Mutter dagegen eine befreite afrikanische Sklavin, die den Vater niemals heiraten konnte. Er war also Mulatte, wie man das damals bezeichnete und wegen seiner Hautfarbe konnte er nicht Priester und anfangs nicht einmal Bruder in seinem Orden werden.

Martin von Porres hatte es nicht leicht. Aber seine spirituellen Fähigkeiten (nächtelang verbrachte er im Gebet in der Kapelle) und seine außerordentliche Hilfsbereitschaft haben ihn schon zu Lebzeiten zum Heiligen gemacht. Als Klosterpförtner hatte er Scharen von Bettlern gespeist und Kranke geheilt, oft auf wunderbare Weise. Die Wundergeschichten über ihn dürften denen von Franz von Assisi in den Fiorelli kaum nachstehen. So wird er auf Bildern meist mit einer Maus, einer Katze und einem Hund abgebildet, die aus dem gleichen Topf fressen. Volksheilige können eben auch Tiere (und Menschen) verstehen und zu einem friedlichen  Einvernehmen bringen. Ebenso wird er immer mit seinem Besen abgebildet. Durch schlichtes Kehren der Fußböden ist der Mann heilig geworden, ein Unsichtbarer im Kloster, der sich mit den kleinsten Dingen und Arbeiten  zufriedengab.

Seine Heiligsprechung hat lange gedauert. Obwohl ihn das einfache Volk längst verehrte, hat sich die Kirche in Rom Zeit gelassen. Er lebte von 1579 bis 1639 in Lima, wurde aber erst 1962 heiliggesprochen, also über 300 Jahre nach seinem Tod. Bei seiner Zeitgenossin Rosa von Lima ging das sehr viel zügiger, in nur 51 Jahren.

Fast unsichtbar für die Welt hat er sich von Anfang an im Herzen der Armen und im Herzen Gottes einen Platz erworben, und ist dann bei der Heiligsprechung plötzlich für alle sichtbar geworden. Heute, am 3. November ist sein Sterbe- und Gedenktag.

Und noch ein Gedenken, das in diesen Tagen begangen wird: Vor 50 Jahren schrieb Gustavo Gutierrez das Buch: Theologie der Befreiung. Er hat damit einer Pastoral der Armen einen Namen und eine theoretische Begründung gegeben. Er selbst nennt den Ursprung seiner Theologie „das Auftauchen der Armen”. Die sind plötzlich aufgetaucht: in Lima in Form der Migranten aus den Anden, wo sie riesige Elendsviertel bildeten und in der Kirche durch das Konzil und die lateinamerikanische Bischofskonferenz in Medellin von 1968. Und in der daraufhin entstandenen Theologie der Befreiung, die die Armen nicht mehr nur als Objekte der Nächstenliebe, sondern als Subjekte ihrer eigenen Befreiung sieht. Im Grunde ist es die Soziallehre der Kirche, wenn auch wie in den 1968er Jahren üblich, mit einigen sozialistischen Ideen verwandt.

Das hat zur Bildung von Basisgemeinden in den Elendsvierteln und auf dem Land geführt, zu einer Kirche der Armen. Bischöfe, Priester und Laien sind zu Märtyrern geworden wie Oskar Romero und Hunderte andere. Viele Reiche in Lateinamerika konnten das nämlich nicht akzeptieren und haben diese Kirche aufs heftigste bekämpft und schließlich auch in Rom Gehör gefunden: In zwei Instruktionen des damaligen Sekretärs der Glaubenskongregation wurde die Theologie der Befreiung des Marxismus verdächtigt. Gustavo Gutierrez konnte diesen Vorwurf für seine Theologie klären. 1988 änderte er das Vorwort seines Buches ab und konnte so, unbeanstandet von der Glaubenskongregation, weiter in der Kirche arbeiten und publizieren. Papst Franziskus hat ihn mehrmals empfangen und vor kurzem zum 90. Geburtstag gratuliert.

Beim Heiligen Martin von Porres und bei Gustavo Gutierrez geht es nicht zuerst um Theologie. Es geht um die Praxis des Sichtbar- und Subjektwerdens der Armen. Es geht um das Unterstützen der Initiativen, die von den Armen selbst ausgehen. Es geht um das Gemeinsam-einen-Weg-Gehen mit Ihnen, einen synodalen Weg. Diese Armen sind nicht nur die materiell Armen, es sind auch andere Unsichtbare oder an den Rand Gedrängte: Frauen, Kranke, Alte, Behinderte…

 

Bischof Reinhold Nann, Caravelli / Peru

siehe Veröffentlichung: basis-online.net