Bischof Dr. Michael Gerber, Fulda
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Seit vergangenen Donnerstag erreichen uns stündlich Nachrichten, die von Tod, von zerstörten Existenzen, zerbrochenen Visionen einer gerechten Friedensordnung, von Schutt und Asche im wörtlichen wie im übertragenen Sinne berichten. Unsere Solidarität gilt denen, die unmittelbar vom Kriegsgeschehen betroffen sind, denen, die Angehörige verloren haben, den Verletzten, Traumatisierten, denen, die auf der Flucht sind und vor den Trümmern ihrer Existenz stehen.
Als Christen stehen wir vor der herausfordernden Aufgabe, die Solidarität mit den leidenden Menschen auf beiden Seiten der Front zu leben. Die Würde des Menschen gilt unbedingt und unabhängig davon, zu welchem Volk jemand gehört. Jedes Volk hat das Recht, seine Regierung frei zu wählen und selbst zu entscheiden, welche Partnerschaften und Bündnisse es eingeht. Auf diesem Hintergrund ist die russische Invasion, der Überfall auf die Ukraine ein eklatanter Bruch des Völkerrechts und widerspricht zutiefst den Werten des Christentums.
Im christlichen Menschenbild ist Freiheit mit Verantwortung verbunden. Diese Verantwortung zeigt sich besonders in der Art und Weise, wie die Freiheit des Anderen geschützt und gefördert wird.
Die aktuelle Situation hinterlässt den Eindruck, dass wir hier an einer Zeitenwende stehen. Welche Kräfte setzen sich auf unserem Globus mittel- und langfristig durch? Sind es diejenigen, die enthemmt ihre Macht und damit ihre Vorstellungen bis zum Äußersten durchsetzen wollen? Mich stimmt sehr nachdenklich, welche politischen Kräfte in welchen Ländern auf welche Weise derzeit Verständnis für die russische Invasion zeigen. Werden sich hingegen jene politischen Kräfte sich behaupten können, die im Diskurs, in der Achtung vor der Würde des Menschen und den davon ableitbaren Rechtsnormen nach einer Lösung suchen?
Aschermittwoch – ein Anfang, nicht nur für die 40 Tage der Fastenzeit. Aufforderung zum Verzicht, zur Selbstbeschränkung gegenüber Gott und den Menschen. Was kann das jetzt in dieser Situation bedeuten?
Nach christlicher Überzeugung versteht sich Macht in Verantwortung vor Gott und den Menschen. So ermöglicht sie die Chance, Zukunft zu gestalten. Doch zeigt sie ihre wahre Größe in der Selbstbeschränkung der Mächtigen, in der Bereitschaft, die je eigene Position kritisch hinterfragen zu lassen. Fastenzeit: Ich gestehe mir ein, dass meine Versuche, Situationen oder gar das Weltgeschehen zu erklären, immer ergänzungsbedürftig sind. Achten wir kritisch darauf: Wo bin ich in der Gefahr, meine Meinung für absolut zu setzen? Gerade im dynamisierten Geschehen dieser Tage ist der Diskurs notwendig. Gefordert ist die beständige Suche nach alternativen Lösungswegen, die zur Deeskalation und zum Frieden beitragen können.
Im Gebet werden wir daher besonders auch unsere Politikerinnen und Politiker begleiten, die sehr schwere Entscheidungen zu treffen haben. Aufgrund der Komplexität sind die Folgen dieser Entscheidungen längst nicht in jeder Hinsicht absehbar. Und dennoch müssen Entscheidungen getroffen werden.
Als Menschheit sind wir neu gefordert im Einsatz für Menschenwürde und Gerechtigkeit. Gleichzeitig dürfen wir darauf vertrauen, dass unser Leben und der Weg der Menschheit in der Hand dessen liegen, der sich einst dem Volk Israels als der „Fürst des Friedens“ geoffenbart hat und der in Jesus Christus uns dazu aufruft, Frieden zu stiften.