Date:08. Jun 2016

Bin ich ein Fahnenträger?

Kunst und Kultur

Fahne - Foto: Laura Thomas - bilder-erzbistum-koeln.de

  Foto:  Laura Thomas – bilder-erzbistum-koeln.de

Heute, zum Beginn der Prozession, wurde festgestellt, dass Fahnenträger fehlen. Man beauftragte mich, welche zu suchen. So ging ich nach draußen und fragte drei verschiedene Männer. Der erste sagte nein. Der Zweite verwies darauf, dass er letztes Jahr danach Rückenprobleme hatte. Der Dritte sagte, dass er dafür nicht zuständig sei, da er keinem Verein angehöre. Diese sollten gefälligst selbst dafür sorgen, dass Fahnenträger da wären.
Die einzige Fahne, bei der er sich vorstellen könne sie zu tragen, sei die Messdienerfahne, da er früher einmal Messdiener war. Ich erwiderte, dass ich das auch könnte und dachte dabei an deren Größe und ihr geringes Gewicht.

Zu Beginn meines Spaziergangs fiel mir diese Begebenheit wieder ein, sie beschäftigte mich und ich überlegte, für welche Fahne ich wohl verantwortlich sei. In Gedanken versunken ging ich weiter, bis mich ein Schatten auf meinem Weg ablenkte.

Vorsichtig schaute ich durch die Bäume und erblickte ein Reh, das in einigem Abstand kurz innehielt, um dann in den Büschen zu verschwinden. Ich hörte die Vögel zwitschern, irgendwo plätscherte ein Rinnsal und ein Baum knarrte. Ich verspürte Lust zum Laufen, was ich auch trotz Wanderschuhen tat, mit dem Ergebnis, dass sich die Schnürsenkel öffneten.

Die Natur beobachtend ging ich weiter. Irgendwann kam mir der Gedanke, dass ich kein Fahnenträger, sondern eine Fahne sei. An einem Platz aufgerichtet, wehend den Leuten zeigend, aus welcher Richtung der Wind kommt – ein Wegweiser.

Der Gedanke gefiel mir. Mittlerweile verließ ich den Wald und ging über die Höhe weiter. Die Sonne schien. Ich spürte ihre wärmenden Strahlen bei einem leichten Gegenwind.

Ich eine Fahne, bei Flaute schlaff herunterhängend, ansonsten vom Luftzug, mal mehr oder weniger stark bewegt werdend – so wie es sich gerade ergibt.  Da fiel mir eine Redensart ein: „Sein Mäntelchen in den Wind hängen“.

Das Ganze kam mir jetzt nicht mehr so verlockend vor. Mache ich das? Meine Ansichten rasend schnell ändern? Ok, ich lasse mich nicht gerne festlegen, äußere eher vorsichtig meine Meinung – außer man erwischt mich auf dem falschen Fuß – aber wenn ich mich mal entschieden habe…
Mhm – was ich brauche, ist eine feste Fahne  – gibt es so etwas?

Ja! Jesus am Kreuz, der an Fronleichnam gefeiert wird  – hochaufgerichtet, wegweisend, festhaltend an seiner Überzeugung, Vorbild für alle. Er möchte getragen werden – hinaus aus den festen Gebäuden der Kirche – hinein ins Leben und das nicht nur an Fronleichnam.
Das ist die Fahne, die ich tragen möchte! – ich weiß nicht, ob sie mir zu schwer ist/wird, aber wenn ich es nicht versuche, werde ich es nie wissen.

Gertrud Mörsdorf

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