Wenige Themen waren in den letzten Monaten so sehr Thema in der Öffentlichkeit wie die Frage: Wie werden wir Weihnachten und Advent feiern? Worauf müssen wir verzichten? Was wird möglich sein? Vor allem Menschen aus dem Ausland fiel dies – in unserem doch eigentlich sehr säkularisierten Land – fast befremdlich-erstaunend auf.
Advent und Weihnachten und die deutsche Seele. Kann man von einer deutschen Seele reden, wie man von einer russischen Seele zum Beispiel redet? Nicht ganz leicht zu beantworten ist so eine Frage. Und doch scheint Advent ein Hinweis auf eine solche gemeinsame Seele zu sein. Zunächst der Advent: Einem Wort Lessings folgend bedenke ich dies immer wieder. Er fragt: Wenn man einem Deutschen die Frage vorlegt, ob er ein Leben lang nach dem Paradies streben wolle oder es vorziehe, ein Leben lang schon im Paradies zu sein, wird er ersteres vorziehen. So die Beobachtung Lessings.
Jedes Jahr erlebe ich im Advent, können wir wohl alle erleben: Vorfreude ist die beste Freude. Weihnachten ist schnell wieder vorbei. Zeit des Hoffens, des Sehnens, einer Art Lebens-Melancholie ist sicher eine wesentliche Charakteristik gerade des Advents. Ein guter Name für einen Geistes- und Seelenzustand, der nun mal zum Menschen gehört, aber gerade für das deutsche Gemüt besonders typisch zu sein scheint. Dezember, ein Monat voller Erinnerungen und Bräuchen. Was ist daran religiös? Wird man als Vertreter der Kirche fragen. Ist nicht alles zu oberflächlich-weltlich?
Aber: Muss es religiös sein? Und was ist religiös? Ist nun mal das menschliche Leben – ganz unkonfessionell – nicht halt doch in dem Augustinus-Wort auf den Punkt zu bringen, dass unser Herz unruhig ist, bis es ruhet in Dir, o Gott? Bewusst, sehr unbewusst, jedenfalls in unbewusste Tiefen hinab reichend oder von dort aufsteigend.
Ich denke, dass da unsere Kirchen noch deutlicher oder überhaupt gerade diesen psychisch-religiösen Sachverhalt ins Gespräch bringen sollten oder im Gespräch erhalten sollten. Mehr jedenfalls als sie es tun. Nicht um den Leuten zu sagen, sie müssten in den Gottesdienst gehen. Und dies nicht nur an Weihnachten. Die Aufgabe, einen Deute-Dienst am Lebensgefühl und dem Bewusstsein der Menschen , der christlichen wie nicht christlichen, der „religiösen“ wie nicht religiösen ist – pastoral gesehen – ist nicht genügend erkannt.
Da schimpft man lieber – doch sehr gedankenlos – gegen Konsum. Doch wenn ich in der Adventszeit ein volles Kaufhaus erlebe, dann ist da nicht zuerst Konsumschelte angesagt, sondern ein Erstaunen darüber, dass so viele Menschen verschiedenster Art, die in dem Moment im Kaufhaus sind, eigentlich alle das Gleiche denken: Was schenke ich wem? Interessant, eigenartig. Jedenfalls ist Weihnachten das Fest, an dem man solches denkt und tut, das Fest an dem man sich seiner persönlichen Netzwerke bewusst wird und dafür etwas tut. Und etwas erwartet. Familienangehörige besucht. Ein Fest der Familie, des Friedens und nicht zuletzt , im Grund genommen ein großtherapeutischer Prozess des Umgehens mit dem inneren Kind, dessen Bedeutung man heute vermehrt erkennt. Und manches mehr.
Ein Fest mit vierwöchiger Vorbereitungszeit – und manche können es nicht früh genug anfangen mit dem Advent, so ersehnt sind diese Tage.
Advent/Weihnachten also eine Zusammenfassung, Synthese unserer Kultur. Und da spielt (christliche) Religion eine besonders große Rolle, wie sonst nie im Laufe eines Jahres. In ungewöhnlich vielen Familien wird das Weihnachtsevangelium gelesen. Und wenn postmoderne Philosophen wie der Franzose Lyotard darauf hinweisen, dass die Zeit der großen Erzählungen, die unsere westliche Kultur prägen, geprägt haben, vorbei sei, wir also neue bräuchten, so stimmt dies für die Weihnachtserzählung sicher nicht.
Man hat dieses Jahr wohl mehr darüber nachgedacht als sonst: Was ist das Wesentliche? Aber auch die Überlegung, dass das Wesentliche immer auch im „Unwesentlichen“ wurzeln muss, wenn es alles erfassen will, war natürlich besonders spürbar. An der Advents- und Weihnachtsspiritualität pastoral arbeiten, ist das, wofür ich, wie gesagt, im Laufe meines Lebens immer wieder eingetreten bin. Auch und gerade mit meinen Beiträgen zur Spurensuche. Dabei plädiere ich dafür, dass zu dieser Spiritualität nicht nur die Theologie – advents- und weihnachtskritisch – etwas sagen soll, sondern eben auch das Brauchtum und die Lebensgefühle, die in dieser Zeit eine Rolle spielen. Pastoral bedeutet dann, diesem immer wieder auch einen Namen zu geben mit einer erdnahen, im Humus der menschlichen Erfahrungen, Bilder und Sehnsüchte verwurzelten Religiosität, nicht um etwas zu korrigieren, sondern um ihm einen deutenden Namen zu geben.