Date:20. Jan 2010

„Unterschätzte pastorale Relevanz des Kirchengebäudes“

Zeichen der Zeit

Stadtbild

 

Unsere Kirche in Deutschland ist in einem Prozess der Neu- und Umstrukturierung der Gemeinden. Anlass und Grund ist der Priestermangel. Der ganze Vorgang geschieht ausgesprochen priesterzentriert. Andere Faktoren werden viel zu wenig bedacht. Darunter auch und besonders die Bedeutung von Gotteshäusern als Heiligen Orten, die den Leuten mehr bedeuten, als ihnen meistens von hauptamtlichen Kirchenvertretern zuerkannt wird.

Da weckt ein Artikel über „die pastorale Relevanz des Kirchengebäudes“ von M. P. Schirpenbach in der Internationalen Katholische Zeitschrift „Communio“ vom November-Dezember letzten Jahres meine Aufmerksamkeit. Als Schüler Kentenichs bin ich besonders sensibilisiert für das Thema. Ein ausgesprochenes Zeitzeichen.

Wir lesen in besagtem Artikel (Seite 620-6631):

“Kirchengebäude sind Orte, an denen Menschen, die sonst nichts oder wenig mit Kirche zu tun haben, dieser begegnen. Die damit verbundene Chance einer elementaren, unaufdringlichen Verkündigung wird viel zu wenig wahrgenommen. Dabei geht es um das Selbstverständnis der Kirche. In vielen Sprachen meint das Wort ‘Kirche’ sowohl die Gemeinschaft als auch das Gotteshaus…Viele Menschen nehmen eine christliche Gemeinde zuerst über ihr Kirchengebäude wahr… Durch das Kirchengebäude geschieht eine Identitätsstiftung, die über die sich ihm verbunden fühlende Gottesdienstgemeinde hinausgeht.“ (620)

Dann die Erfahrung:

„Eine nicht geringe Gruppe von Menschen, die in der Regel nicht die Gottesdienste aufsuchen, empfindet eine Verbundenheit mit dem Gotteshaus… Das Gespür, es hier mit einem andersartigen, ausgesonderten, heiligen Ort zu tun zu haben, ist durchaus vorhanden. Die Tatsache, dass damit oft die Erinnerung an Ereignisse des eigenen Lebens, etwa Erstkommunion oder Hochzeit verbunden werden, soll den Eindruck nicht schmälern: Nicht das biographische Ereignis heiligt gleichsam den Ort, sondern die Tatsache, dass das Ereignis in dieser Kirche stattfand, gibt dem Ereignis weitere Gewichtung. Es stimmt also nicht, dass Gotteshäuser von vielen zu Hochzeiten und dergleichen zuerst wegen der schönen Kulisse aufgesucht werden, sondern das Bedürfnis, dass der Rahmen stimmen soll bezieht sich darauf, dass das Ereignis tatsächlich von der Gegenwart des Heiligen umfangen werden soll.“ (621)

So sagt man schnell: „Die suchen ja nur einen schönen Raum.“ Dazu der Artikel:

„War es aber nicht gerade die Absicht der Bauherren, schöne Räume zu schaffen? Gerade die Barockarchitektur erhebt von sich aus den Anspruch, den Menschen gewinnen zu wollen. Sie setzt bei der Vermittlung der Inhalte bewusst bei der unmittelbaren Sinnlichkeit an, holt den Menschen bei seinen Gefühlen und Eindrücken ab, um ihn dann aber in eine Wirklichkeit jenseits des ästhetischen zu führen.“ (621)

Wir lesen weiter:

„Christlicher Glaube erschöpft sich nicht im Glaubenswissen, sondern besteht zu allererst in der Beziehung zu einer nicht fassbaren Gegenwart. Jede gelebte Beziehung bedarf des Ausdrucks, in dem sie sinnlich greifbar wird.“ (622)

„Durch die anstehenden Umstrukturierungen der Seelsorgeeinheiten erhält die identifikationsstiftende Funktion der Kirchengebäude eine neue Brisanz. Es geht die Furcht um, dass Kirchen aufgegeben werden…Es geht um einen Verlust an Heimat, und die Beheimatung im Glauben ist offensichtlich stark mit konkreten Personen und Orten verbunden. Es zeigt, wie anthropologisch-ganzheitlich das Phänomen des Glaubens gesehen werden muss und dass es nicht auf einen mental-kognitiven Bereich reduziert werden kann…Das immer noch vorhandene Gespür vieler Menschen für Sakralität durch den Schritt einer Profanierung zu ignorieren, ist verantwortungslos. Um die Brisanz aufzuzeigen, kann man etwas überspitzt von einer Vergewaltigung des sensus fidelium sprechen. Was bei einem solchen Schritt verloren gegeben wird, wird nicht mehr aufgefangen.“ (627 f. 630)

Soweit der Artikel.

Ich füge noch die Erfahrung eines dem Christentum (eigentlich und halt dennoch nicht) Entfremdeten an:

„Beim Eintritt in diese alte Kirche ist es mir, als beträte ich meine Seele. Beim Öffnen der Türe erheben sich meine geheimsten Träume und kommen mir entgegen. (…) Und plötzlich, während ich sie immer inniger betrachte, wachse ich über mich hinaus, nehme teil an ihrem Wesen, Ströme von Reinheit und Kraft dringen in mich ein. Die Jugend meiner Seele belebt sich wieder. Zum zweitenmal empfange ich die Taufe und gehe glücklicher aus ihr hervor, durchdrungener von göttlicher Glorie und menschlichem Genie. (…) Diese Offenbarung der Wahrheit bringt mich in Verzükung. (…) Meine wahre Nahrung ist hier in dieser Gruft. Hierher zielt mein ganzes Leben, mein dauerndes Studium. Alle meine früheren Bemühungen waren darauf gerichtet, mir diesen siebenten Himmel zu öffnen!“

Rodin über seinen Besuch der Kirche von Melun, Frankreich.
Zitiert in Herbert King: Anschluss finden an die religiösen Kräfte der Seele. Patris Verlag, Vallendar 1999, 78 f.

 

Herbert King